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Blog

Auf die Israelische Art

300 Tage seit dem 7. Oktober. Anfang November dachte ich, wenn der Krieg bis Januar dauert, halt ich das ja nie aus. Auf einmal ist August, in ein paar Tagen sind es 10 Monate. Wenn man im Zusammenhang vom 7. Oktober von Monaten spricht, wird mir automatisch schlecht, weil ich an die Geiseln denke. Und vor allem die jungen Mädchen, zu denen die Hamas in einem mittlerweile veröffentlichten Video sagten „Das sind die, die schwanger werden können“. 300 Tage, in denen der Rest der Welt komplett den Bezug zur Realität verloren hat und wie gewohnt Israel die Schuld für alle schlimmen Nachrichten gibt. Ganz vorne dabei zum Beispiel die Washington Post, die auf der Titelseite ein Foto der trauernden Drusen abdruckt, deren Kinder von der Hisbollah getötet wurden. Dazu der Titel, Israel habe im Libanon angegriffen. Ganz böse Propaganda, bei der man sich mittlerweile nicht mal mehr Mühe gibt, die eigene Meinung zu verstecken. „Die Juden sind schuld“, das hatten wir doch schon mal…

 

Der einzige Grund, warum ich noch nicht wahnsinnig geworden bin ist, dass ich gelernt habe, alles auf die Israelische Art anzugehen. Als ich früher schon immer mit meiner Mama im Urlaub hier war, haben wir die Lebensfreude bewundert „und das, obwohl sie von allen Länder um sie herum gehasst werden“. Mittlerweile weiß ich, dass es nur so geht. Und wir haben hier tatsächlich genug um die Ohren, als uns auch noch darum zu kümmern, was ausländische Zeitungen berichten.

 

Ich wollte eigentlich schon längst wieder einen Blogpost schreiben, komme aber zu nichts. Mein Mann ist seit Anfang Juni wieder in Reserve (immerhin noch nicht in Combat, gottseidank!) und ich halte den Laden zuhause am Laufen: aufstehen, Gassi, Arbeit, Gassi, Haushalt, Gassi, schlafen. So vergeht immerhin die Zeit, aber ich brauche ganz dringend eine Pause. Als wäre das alles nicht schon genug, ist unser alter Hund mit seinen 16 Jahren auch noch erblindet und gerade am Anfang war es richtig schwer, ihn zu umsorgen. Mittlerweile geht alles nach Gehör und auf den Treppen tastet er langsam und ganz niedlich mit den Pfoten wo es auf- und ab geht. Ich bin so stolz, wie wir das hinkriegen. An den Tagen, an denen mein Mann zuhause ist, übernimmt er so viel er kann, aber gerade zwischen Nachtschichten bleibt da nicht viel Energie übrig, die Schichten dauern gerne mal 12 Stunden - plus Heimfahrt aus dem Süden.

 

Wie stehe ich die Situation jetzt gerade also durch? Ganz am Anfang, als mein Mann gefahren ist, habe ich mit meiner Schwiegermutti vereinbart, im Fall eines Alarms die 10 Minuten auf der Treppe, bzw. in der sichersten Ecke der Wohnung gemeinsam am Telefon zu verbringen. Nicht viele Häuser im Norden haben überhaupt einen Bunker oder Raum mit dicken Wänden – noch erscherckender im Vergleich zu Tel Aviv. Aber das ist wohl in jedem Land gleich, wohnt man außerhalb der Ballungszentren ist man schnell übersehen und dadurch benachteiligt. Mit Norden meine ich übrigens nicht Haifa, wir sind mit unseren 30 Kilometern noch relativ weit weg von der Grenze. Israel ist klein, 30 Kilometer sind ein ganzes Stück.


Eine Synagoge mit Bunker im Keller

Pikud Haoref, das Heimatfront-Kommando, hat vor 10 Monaten Guidelines veröffentlicht, was im Ernstfall zu tun ist. Dazu gehört, genügend Trinkwasser und Lebensmittel für 3 Tage im Haus zu haben, genauso Elektronik wie eine Taschenlampe, Radio, Powerbank, außerdem Verbandszeug und Bargeld. Im Oktober hatte ich mir sogar eine kleine Notfall-Tasche mit Wechselkleidung gepackt, die ich dann im Januar wieder ausgepackt habe – die ganze Sommerkleidung nutzt mir im Winter ja nichts – und erst jetzt wieder neu gepackt habe, inkusive Wasser und ein paar Dosen. Alles für den Fall der Fälle und so bin ich auch etwas flexibler, falls ich mich entscheide, zu meiner Schwiegermutti oder in einen öffentlichen Bunker zu gehen.

 

So. Viel Erklärung und viel Chaos, wie wird man da nicht verrückt? Einfach weitermachen, einfach immer einen Tag auf einmal, wer weiß, was morgen wird. „Wird schon.“ Wir denken an Probleme, wenn sie da sind. Was nicht heißt, dass wir nicht vorbereitet sind, wie man weiter oben sieht. Wir tun, was wir können, aber genau deswegen gibt es jetzt keinen Grund, uns Sorgen über ungelegte Eier zu machen. Oder ungeschossene Raketen. Wie viele Leute beschwören seit Monaten, dass „der große Krieg mit der Hisbollah jetzt aber wirklich losgeht“. Letztens hatte ich ein paar Abende, an denen ich mit den Hunden allein zuhause saß und dachte, „was wenn…“. Die ganzen Posts auf Social Media machen einen irgendwann verrückt, aber ich bin jetzt Israelin, also verhalte ich mich auch so: eine nächtliche Sporteinheit, um das Adrenalin raus zu lassen, danach Lavendeltee und Psalme lesen, um auch noch den Kopf zu beruhigen. Wir haben vorbereitet, was geht und wenn etwas passieren soll, passiert es. Egal, ob ich vorher die ganze Nacht wach lag und Angst verbreitet, oder tief und ruhig geschlafen habe. Meine Schwiegermutter - gebürtige Israelin - war so stolz, als ich davon erzählt habe.

 

Die Moral hoch zu halten ist wichtig, es gibt seit Februar ein neues Lied von Hatikva 6, „Superhelden“ und dreht sich um ganz normale Israelis, die seit Oktober alles stehen und liegen lassen, um sich zur Reserve zu melden. Wenn ich wüsste, wie ich die ganzen Begriffe unserer Armee auf Deutsch übersetze, würde ich den ganzen Text hier übersetzen. Sie singen unter anderem über Idan Amedi, den Sänger und Schauspieler, den man in Deutschland spätestens seit Fauda kennt und der natürlich auch zurück in die Army ist, bis er in Gaza schwer verletzt wurde.

Für Deutsche klingt es vielleicht seltsam, die Armee so zu preisen, aber wir haben ja gar keine andere Wahl:

 

„Stimmt, wir sehen alle normal aus, aber wir sind ein Volk der Superhelden

in jedem steckt ein Soldat, bereit die Welt zu retten.

 

Und es spielt keine Rolle, ob mitten im Leben oder mitten im Fußballspiel

Jeder wird in einer Sekunde alles fallen lassen, wenn die Flagge ihn ruft

Dies ist kein Paralleluniversum oder eine Marvel-Realität

Das ist unsere Geschichte – Volk Israel“

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